Journal Am Tisch mit - Stine Jensen
Am Tisch mit

Stine Jensen

Tafeln in den Niederlanden

Tafeln ist nicht nur in Deutschland ein Begriff, sondern auch in den Niederlanden. Tafeln bzw. „tafelen“, wie die Niederländer sagen, ist abgeleitet von der Tafel, einem großen, für eine festliche Mahlzeit gedeckten Tisch. Tafeln tut man nicht alleine. Tafeln ist genussvolles Essen und Trinken, mit anderen. Dabei wird nicht nur geschlemmt, sondern auch geredet und gelacht. Die Niederländer finden das „gezellig“, gesellig, gemütlich, gemeinschaftlich. „Lekker gezellig tafelen“ ist ein typisch niederländischer Ausdruck. Auch „lekker“ ist so ein typisch niederländisches Wort, das übrigens nicht nur für etwas Ess- oder Trinkbares verwendet wird. Nein, man sagt nicht nur „lekker weer“ (gutes Wetter), „lekker groot“ (schön groß), sondern kann damit sogar eine Person beschreiben. So ist mit „lekkere man“ ein attraktiver Mann gemeint!

Ich selbst bin keine Niederländerin, sondern Dänin. Ich bin in einem dänischen Haushalt in den Niederlanden aufgewachsen, mit dänischen Tischmanieren, die sich grundsätzlich von den niederländischen unterscheiden. In dänischen Filmen wie „Das Fest“ oder „Babettes Fest“ findet man eine Reihe von Beispielen für das dänische Verhalten zu Tisch. Eine Konversation auf Dänisch kennzeichnet sich durch Zurückhaltung. Es bleibt vieles ungesagt, unbesprochen. Gleichzeitig drückt man sich gewandt und kunstfertig aus. Wir nicken viel, rufen wiederholt „Skol“ und vermeiden alle heiklen Gesprächsthemen, auch Politik und Sex. Bis der Alkohol seine Wirkung zeigt und einer in der Runde aufsteht und eine Rede hält, wobei allerlei peinliche Wahrheiten ans Licht kommen.

Die Niederländer dagegen haben ihren ganz eigenen Stil und „Knigge“. Ich möchte Ihnen gerne erzählen, wie ich niederländische Gäste in meinen vier Wänden kennen gelernt habe. Er oder sie bringt zunächst eine Flasche Wein zum Essen mit – für Franzosen wäre das eine regelrechte Beleidigung, denn man würde dadurch suggerieren, ihr eigener Wein sei nicht gut genug –, erkundigt sich schon mal, wo die Toilette ist und besucht diese wahrscheinlich gleich, und inspiziert danach mit großer Neugier die gesamte Wohnung (wobei von Ihnen eine Führung erwartet wird) mit viel Kommentar und Empfehlungen (‘Tolle Vorhänge!’, ‘Wo schläfst du?’, ‘Aus diesem Schlafzimmer könnte man zwei separate Zimmer machen!’). Die niederländische Identität lässt sich meiner Meinung nach folgendermaßen kurz zusammenfassen: offen, pragmatisch, ehrlich und auf Gleichheit ausgerichtet, aber auch etwas grob, simpel und sehr direkt.

Seit Jahrhunderten sind die Niederländer für diese Charaktereigenschaften bekannt. Während das restliche Europa längst Tischsitten eingeführt hatte, aß man in den Niederlanden noch vom selben Teller und trank aus demselben Becher. Der niederländische Philosoph Erasmus schrieb im 15. Jahrhundert ein Buch über Tischmanieren für Kinder, in dem er dazu aufrief, die niederländische Identität, wie er sie sah – roh, unhöflich, laut und am Tisch rülpsend und furzend –, zum Guten zu verändern. Kinder sollten von nun an vor dem Essen die Hände waschen und sich den Mund abwischen, bevor sie einen Schluck trinken durften. Doch erst im 18. Jahrhundert aßen die Niederländer beim Essen vom eigenen Teller und benutzten ihr eigenes Besteck und Glas.

Auch wenn die Niederländer nicht unbedingt für feine Tischmanieren bekannt sind, sind sie für ihre Gemälde desto berühmter. Übrigens waren sie wahre Meister darin, schlechte Essmanieren unglaublich schön darzustellen. Das liefert ein perfektes Bild der niederländischen Identität.

Die einen nennen es das bekannteste Beispiel für niederländische Kunstgeschichte, andere wiederum sehen darin die Geburt des niederländischen Tafelns: Das Gemälde „Die Kartoffelesser“ von Vincent van Gogh. Es ist weltberühmt. Van Gogh malte es 1885 in Nuenen, in einem Bauernhaus. So lebte und aß man hier früher: Alle haben sich um einen kleinen Tisch in einer dunklen Kammer versammelt. Sie sitzen auf Holzstühlen und essen gemeinsam Kartoffeln. Noch heute spielen Kartoffeln als Hauptbestandteil einer warmen Mahlzeit, neben Fleisch und Gemüse, eine wichtige Rolle in der Ernährung. Die drei Zutaten werden auch gerne mit der Gabel vermischt und zerdrückt; man nennt das „prakken“. Dieses Zermanschen ist auch schon im Kochtopf möglich, was dann als Stampf („stamppot“) serviert wird. So werden beispielsweise Kartoffeln mit Endivie (roh!), Sauerkraut, Grünkohl oder Möhren („hutspot“) vermischt. Davon nimmt man sich am Tisch eine Portion und macht mit dem Löffel eine Mulde in der Mitte. Wozu? Nun, wer weiß ... Die Niederländer sind ja auch berühmt für ihre Deiche.

Und wenn´s schnell gehen muss, kommt man in den Niederlanden auch ohne Tisch aus. Man zieht sein warmes Essen einfach aus einem in einer Wand eingebauten Automaten. In den Niederlanden nennt man diesen Besuch des Automatenrestaurants „uit de muur eten“ – wörtlich „aus der Mauer essen“.

Zum Glück haben sich die niederländische Küche und die Kunst des Tafelns weiterentwickelt, zum Guten. So präsentieren sich die Niederlande heute mit einer Reihe wunderschöner Designtische, wie diesen Prachtexemplaren von Arco. Eine absolute Garantie für „lekker gezellig tafelen“!